Skip to main content

Berlin | Ein brasilianischer Tarantino? Filmhit «The Secret Agent»

-/Port au Prince Pictures/dpa | Wagner Moura als Marcelo in einer Szene das Films «The Secret Agent».

Neu im Kino

Berlin (dpa) - Als tropische Version eines Quentin Tarantino bezeichnete jemand den neuen Film des Brasilianers Kleber Mendonça Filho bei den Filmfestspielen in Cannes. Dort gewann «The Secret Agent» die Preise für die beste Regie und den besten Darsteller und galt als einer der Favoriten. Dass ein Film in gleich zwei Kategorien ausgezeichnet wird, ist in Cannes ungewöhnlich. Auch für die Oscars wird der Thriller gehandelt. 

Nach «Für immer hier» der nächste brasilianische Kino-Hit

Tatsächlich erinnert die Art, wie «The Secret Agent» gedreht ist, ein bisschen an Tarantino - und ist gleichzeitig ein sehr eigenes Werk. Mendonça Filho mischt Elemente von Thriller, politischem Drama, surrealen Elementen und schwarzem Humor. Bei beiden Filmemachern gibt es brachiale Gewaltszenen - und ein großes Stilbewusstsein mit Anspielungen auf die Kinogeschichte.

Mit all diesen Elementen hat Mendonça Filho einen so unterhaltsamen wie ästhetisch einzigartigen Film gedreht. «The Secret Agent» erzählt von einem brasilianischen Akademiker, der in den 1970er Jahren während der Militärdiktatur verfolgt wird.

Der Film macht die Kultur und politische Geschichte Brasiliens lebendig, kommt aber deutlich weniger didaktisch daher als der letzte brasilianische Kino-Exportschlager «Für immer hier» von Walter Salles, der dieses Jahr einen Oscar als bester internationaler Film gewann. 

«Narcos»-Star Wagner Moura in der Hauptrolle

Wagner Moura - bekannt als Pablo Escobar in der Serie «Narcos» - spielt den Akademiker Marcelo, der von São Paulo in die Stadt Recife im Nordosten Brasiliens zieht und dort seinen Sohn wiedersehen will. Aus einem Grund, der erst nach längerer Zeit deutlich wird, lebt er in Recife unter falschem Namen in einer Wohngemeinschaft von Dissidenten.

Gleichzeitig wird er von einer zwielichtigen Gruppe von Kriminellen beschattet. Mehr über seine Geschichte erfahren die Zuschauer durch einen Erzählrahmen, der in der Gegenwart spielt. Mitarbeiterinnen eines Forschungsprojekts spüren der Geschichte von Marcelo nach.

Spannend ist vor allem, dass Marcelo kein klassischer Widerstandskämpfer ist, sondern alleine durch seine akademische Tätigkeit ins Visier eines mächtigen Geschäftsbosses geraten ist. Der Film macht deutlich, wie tief vernetzt die Korruption damals in Brasilien war.

Unterdrückte Gewalt sichtbar machen

Zu den bizarren Highlights des Films gehört ein surrealistisches, abgetrenntes Bein, das ein Eigenleben entwickelt und Menschen in unerwarteten Momenten (zum Beispiel beim gleichgeschlechtlichen Sex im dunklen Park) in den Hintern tritt. Diese Geschichte wird im Film in den örtlichen Zeitungen ausgeschlachtet und amüsiert die Bevölkerung. Das sei eine Anspielung auf eine tatsächliche urbane Legende, wie Regisseur Mendonça Filho sagte.

«In den 1970er Jahren gab es in der Metropolregion Recife während der farbenfrohen Karnevalszeit 100 bis 120 Todesfälle jährlich, was ich nie vergessen habe. Viele starben bei Straßenkämpfen, Raubüberfällen, Morden, "Ehrenmorden", Autounfällen, Ertrinken und Trinkgelagen», führte er aus. Die Legende vom brutalen Bein war damals demnach eine Art Metapher, um die Gewalt in den Straßen zu erklären.

Es ist jedenfalls ein Anliegen Mendonça Filhos, auf diese und andere Weise unterdrückte Gewalt sichtbar zu machen. 

Das macht den Film so besonders

«The Secret Agent» ist manchmal rätselhaft und ziemlich verschachtelt, dabei aber clever konstruiert und immer unterhaltsam. Manche Anspielungen versteht man vermutlich nur als Kennerin der brasilianischen Geschichte. 

Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass der Film optisch eine Pracht ist - mit leuchtenden Farben und speziellen analogen Kameralinsen, die das Bild lebendig wirken lassen und ihm eine nostalgische Note verleihen.

Und auch der besondere Soundtrack voller brasilianischer Tropicália-Klassiker macht den Film zu einem Erlebnis. Als nette Überraschung ist die Schauspiel-Legende Udo Kier in einer kleinen Nebenrolle als deutscher Jude namens Hans zu sehen.

© dpa-infocom, dpa:251106-930-256207/1

Natacha Pisarenko/Invision/dpa | Wagner Moura wurde in der Rolle des Drogenbarons Pablo Escobar bekannt. (Archivbild)